Die Vereinigten Staaten sind bekanntlich ein weites großes Land. Die bäuerliche Vergangenheit und Gegenwart erkennt man überall, sobald man die wenigen großen Städte hinter sich lässt, der ältere Europäer wie ich erinnert sich noch immer an die klischeehaften Cowboyfilme seiner Kindheit, wenngleich die meist in Kroatien gedreht wurden.
So haben die USA nur vier wirklich große Städte mit über zwei Millionen Einwohnern (darunter die zwei Metropolen an den Küsten - New York + Los Angeles, dann noch Chicago und Phoenix). Wien wäre beispielsweise die fünftgrößte Stadt der Weltmacht mit 335 Millionen Einwohner und würde in Sachen historischer Sehenswürdigkeiten natürlich den Gesamtkontinent überragen.
Man kann also sagen, was wir ja von Bonanza, Waltons etc. noch gut wissen: der typische Nordamerikaner ist noch immer sehr nahe der Landwirtschaft, jeder Amerikaner hat auch Farmer-Blut in sich. Das ist gut so. Das gefällt uns hier für die Zwecke unseres Portals sehr gut.
Lässt man zum Beispiel an der Ostküste im großen Bundesstaat Pennsylvania die Hauptstadt Philadelphia (mit 1,6 Mio Einwohner vergleichbar mit München oder Hamburg) hinter sich, gelangt man sehr schnell in eine ganz andere Welt, in eine anmutige hügelige Landschaft, die den geborenen Österreicher an die Oststeiermark oder gar an das Burgenland erinnert. Solche fruchtbaren Landschaften findet man aber auch woanders in Europa, beispielsweise in Rheinland-Pfalz oder in der Po-Ebene. Es fehlen jedoch Kleinstädte oder größere moderne Dörfer. Ein Bauernhof folgt dem anderen, diese Anwesen sind wunderschön und eben aus religiösen Gründen etwas aus unserer Zeit gefallen.
Der Besucher sollte sich spätestens in New York oder Washington erinnern, dass diese Regionen weit südlicher liegen als Deutschland und Österreich, das erkennt man an den doch „exotischen“ Anbaufrüchten wie Tabak.
Wir sprechen also nicht von einem separierten „Haufen-Dorf“ sondern von einem ganzen Landstrich mit immerhin 45.000 Einwohnern. Alle Immobilien sehen so aus wie ein europäischer Bauernhof um 1950, man schwärmt leicht im Sinne von „ja,- früher war alles besser“. Es sind viele Tausende Bauernhöfe in Lancaster, das ist für jeden Freund der Landwirtschaft ein gewaltiger Eindruck. Diese ursprüngliche Landschaft strahlt eine große Harmonie aus. Die kleinen Straßen und Wege, dazwischen die vielen Mais-, Tabak- und Gemüsefelder. Verkehrslärm fehlt größtenteils. Internet und Handy sind streng verboten, mein Smartfon hat gewissen Empfang, ich will es aber nicht wirklich nutzen, empfinde das dort als dekadent, einige Fotos freilich müssen sein. In dem County leben natürlich auch “normale” Menschen, also die “Englischen”,- dann mit Strom, Internet und Fernsehen etc.
Wir gelangen also nach 70 min Autofahrt südlich von Philadelphia kommend im Kreis/County Lancaster, genauer in dem schönen Ort mit einem melodischen Namen „Bird-in-Hand“. Die Amischen sind gute Kaufleute, sie betreiben dort zuerst einen großen Laden für ihre Waren, der natürlich auch auf Touristen ausgerichtet ist. Ich erkenne die guten Backwaren und das Brot, das hat schon eine Erinnerung an die eigene Oma um 1975, spätestens hier wird jeder Besucher sentimental und freundlich gestimmt.
Naiv kauf ich auch etwas vermeintlich handgefertigten Weihnachtsschmuck, auf der Heimfahrt erkenne ich unten den kleinen Aufkleber: „made in China“. Aber was soll´s, wir sind in USA, Business ist dort eine Tugend. Recht haben sie, die Amischen, Touristen und Fremde muss man gut behandeln und immer ein wenig abzocken, so ist es weltweit.
Wir halten an einem Feld, wo Menschen, viele Kinder, eine uns seltsame erscheinende rankende Pflanze ernten. Das war aus der Ferne eine Kreuzung aus Gurke und Melone (Foto unten). Die Amischen sind sofort hilfsbereit, erklären das Tun und die Kinder schenken ein paar Früchte durch das Fenster des Busses. Es ist die Bittermelone, der man viele heilende Kräfte nachsagt, sie ist wertvoll für Leber und alle inneren Organe uns soll sogar die Jugend vor Zuckerkrankheit bewahren. Diesen Tipp der Amischen wollen wir ernst nehmen und damit ist die kleine Liederlichkeit mit der Weihnachtskugel „made in china“ vergessen.
Man sagt uns außerdem, die Angestellten in solchen Läden und Gaststätten sind eher Mennoniten, die die Regeln nicht mehr ganz so streng ausleben. Selbst die Mennoniten wollen keine Fotos von sich. Einerseits lehnen sie das Internet komplett ab und andererseits verletzt das Fotografieren immer die Regeln für Demut und gegen Eitelkeit.
Die meisten Bauernhöfe produzieren Rinderfleisch und Milch. Schweine sind wohl verboten oder geringgeschätzt wie in anderen abrahamitischen Religionen. Eine eigene Hunderasse fällt den Kindern auf, besonders herzige dunkelbraune wuschelige Welpen.
Man ist zu einem hohen Anteil Selbstversorger und versteht viel von Heilmitteln. Ein Bauer in der Gemeinschaft hat sich daher auf Kamele spezialisiert. Die Amischen vertrauen auf die Kamelmilch als ganzheitliche Medizin für vieles.
Der Name der Religionsgemeinschaft leitet sich von Jakob Ammann ab, der sich um 1693 vom Hauptstamm dieser strenggläubigen täuferisch-protestantischen Religionsgemeinschaft abspaltete und später sein Glück in Amerika sucht. Die Ursprünge führen zurück auf Reformation/Gegenreformation und Glaubenskriege im Elsass,- lassen wir diese unrühmliche Zeit ausgeklammert.
Die Amischen sprechen “Pennsylvania Deutsch”, was die Amerikaner eher im Missverständnis als Dütsch (elsässisch bzw. als Schweitzer-Deutsch gemeint) und später Dutch bezeichneten, es gibt allerdings wirklich keine historische Beziehung zu den heutigen Niederlanden.
Nun, wir wollen hier ja eher philosophisch auf Technik und Landwirtschaft eingehen. Die Religionswissenschaft klammern wir so weit aus, dazu findet man einiges aus berufenerer Feder, von Theologen oder Historikern.
Auch Kinder werden sehr schnell in der Arbeit am Feld oder im Haus angehalten. Die Kinder werden im „Dorf“ von jungen Frauen erzogen, die Schule hat nur einen Klassenraum (siehe auch Verbot von Luxus), in der alle Jahrgänge parallel von den Frauen geschult werden. Praxis ist immer wichtiger als Theorie. Die Schullaufbahn endet mit ca. 16. Die Amischen praktizieren die Erwachsen-Taufe. Der Jugendliche darf so mit sechzehn oder siebzehn den amerikanischen Way of Life (in ihrer Sprache: das Leben der Englischen) erforschen. Diese Jugendlichen sind dann die berühmten „Rumspringa“. Wir vermuten, sie bleiben streng kontrolliert. Das Rumspringen bedeutet, dass man mal ins Kino geht oder gar auf einen Donut zu Dunkin, selbst der extrovertierte junge Amisch wird Mc Donalds oder eine wilde Bar immer ablehnen.
Wenn einer in dieser jugendlichen Phase die Gemeinschaft verlässt und sich nicht taufen lässt und ein „Englischer“ (=Nicht-Amisch) wird, hat er angeblich noch immer Kontakt und Besuchsrecht zu seiner Familie. Nach der Taufe ist er eng eingebunden in das Regelwerk und kann bei schweren Vergehen ausgestoßen werden, die Gemeinschaft redet von Meidung (shunning). Die Gemeinschaft und auch die Familie meiden bzw. ächten dann diesen Abtrünnigen kompromisslos, - die schwerste Strafe für einen erwachsenen Amisch.
Die Amischen heiraten jung, im Altern von 20-22. Der Ehemann lässt ab der Eheschließung seinen Bart wachsen, die verheiratete Frau zeigt das auch an der Bekleidung. Kinder sind im Zentrum der Gesellschaft, man lebt in Großfamilien. Man macht keine Fotos (Eitelkeit ist Sünde), der gemalte Stammbaum im Wohnzimmer soll aber heilig sein. Was bewiesen ist: die Gemeinschaft wächst sehr schnell und hat in einer Dekade allein im Bezirk Lancaster um Tausende zugenommen, nun sind es dort eben 45.000 Menschen. Der Engpass ist das Acker-Land und die Anzahl der Hofstellen, die jungen Amischen müssen z.B. weiter westwärts nach Ohio ziehen, um dort als Bauern leben zu können. In ganz Nordamerika sollen diese Gruppen mittlerweile immerhin 300.000 Mitglieder zählen. Lancaster bleibt das Kernland. Wie gesagt, die Amerikaner schätzen im Wesentlichen diese Gemeinschaften, das gilt auch für die weit größeren „Mormonen“, die zumindest den Bundesstaat Utah beherrschen.
Familien haben gerne mal 8-12 Kinder. Das sehen diverse linke politische Gruppen der USA (Feminismus) in Amerika auch sehr kritisch. Die Menschen, die wir antrafen, wirkten auf den ersten Blick alle sehr ruhig und glücklich und gut gelaunt.
Man darf nicht naiv sein, die meisten Bauern gehen mittlerweile einem Nebenerwerb nach. Die Einkünfte aus dem Bauernhof reichen nicht, um eine so große Familie zu ernähren.
Das Anwesen des Amischen ist sehr gepflegt. In der Garage stehen nicht zwei Autos, sondern 3-4 unterschiedliche Kutschen bzw. „Buggies“. Das wohl religiös unterlegte Symbol (Himmelsleiter?) ist die schräge und sehr weit hinauf angelegte Wäscheleine, auf der immer viel Wäsche hängt. So erkennt man den amischen Hof und unterscheidet ihn vom englischen Landhaus (die Amischen selbst nennen alle anderen Menschen eben „englisch“). Das Haus hat keine Stromzuleitung oder Telefonleitung, dann ist man endgültig sicher, dass es richtige Amische sind.
Nur am Sonntag wird die Wäsche von der Leine genommen.
Auf die verschiedenen Stufen der Lebensweise, von streng bis moderner, wollen wir hier nicht eingehen. Merken wir uns, dass die Mennoniten liberaler sind als die Amischen. Aber beide arbeiten zusammen, sind keineswegs verfeindet.
Den Begriff „Sekte“, der mittlerweile eine abwertende Semantik hat, sollte man generell nicht verwenden. Diese Bauern in Pennsylvania sind nach Auskunft in der Restbevölkerung sehr angesehen. Dass sie friedlich sind, kann man ihnen bis auf menschliche Ausnahmen nicht absprechen. Sie halten sich auch so von Drogen, Alkohol und anderen Substanzen fern; auch hier wird es menschliche Laster geben. Widersprüchlich erscheint, dass sie fleißig Tabak anbauen.
Seit einigen Jahren gehen sie vermehrt zu Wahlen und engagieren sich sogar mit sichtbaren Wahlplakaten. Die Tendenz ist klar, es überrascht nicht. Mindestens 92% der Amischen wählen nach Schätzung der Behörden die konservativen Republikaner. Auch im Sommer 2023 sahen wir im amischen Bezirk viele Tafeln mit der radikalen Anti-Biden-Satire „Let´s Go Brandon“.
Die Amischen nutzen das medizinische System wie alle US-Bürger, sie lehnen jedoch eine staatliche Versicherung ab, Hausgeburten nehmen beispielsweise eher ab. Bei Impfungen zieht wieder die Grundregel des Zuwartens. So sind auf Nachfrage die typischen Kinderimpfungen wohl völlig akzeptiert und üblich, bei Covid war man sehr kritisch und hat diesen Impfstoff abgelehnt. Über die Gesundheit und Public Health der Amischen gibt es mittlerweile einige neugierige Studien und viele Filme oder Dokumentationen, die aber kaum wahrheitsgetreu sind.
Aufgrund eines Verses im Alten Testament haben die Amischen ziemliche Furcht vor dem staatlichen oder externen Stromnetz (noch mehr vor dem Internet) und schließen sich an diesem nicht an. Die Häuser sollen aber durchaus hohen Komfort haben, denn Generatoren und Gasflaschen sind überall im Einsatz. Sie produzieren den Strom also selbst, könnte man sagen. Irgendwie doch auch ein moderner Ansatz.
Internet wird weiterhin als wahres Teufelszeug gesehen. Mobiltelefone sind also streng verboten. Fernseher außerdem.
Telefonzellen sind mittlerweile erlaubt, befinden sich aber mindestens 20 m entfernt vom Wohnhaus. Der Gebrauch ist klar geregelt.
Es hat den Anschein, dass diese Gemeinschaft der Technik immer 30-50 Jahre hinterherhinkt. Das kann man, wenn man einen positiven Sinn erkennen will, als Vorsichtsprinzip gelten lassen. Was der Englische (also wir alle) ohne Schaden eine oder zwei Generationen getestet hat, das wird irgendwann auch beim Amischen anerkannt. Das ist also im engen Sinne konservativ und mag ja auch positive Effekte haben, dass man nicht jeden Trend mitmacht und die Neuerungen genau prüft.
Beeindruckt haben mich z.B. Heupressen (für kleine Ballen, wie man sie in Österreich nur mehr selten sieht), wie sie in Mitteleuropa überall bis gut 1995 im Einsatz waren, die Geräte werden an ein Pferdegespann von vier Tieren angekoppelt. Und so erreicht man die Geschwindigkeit, dass die Ballen wirklich gepresst werden.
Noch besser ist die umgebaute Maschine zum Wickeln von Silage-Ballen (große Rundballen über 1m Durchmesser, wie wir sie sonst nun auch überall sehen). Auch diese Geräte werden von Pferden gezogen. Damit hat natürlich leider das Plastik im County Einzug genommen, was mir als Stilbruch erscheint.
A propos: Gummibereifung wird überall als Luxus abgelehnt, bei Kinderspielzeug war ich mir nicht sicher. Den Sinn hinter dieser Regel zu hinterfragen, wäre mühsam. Jeder kennt die Pferdewägen und Kutschen der Amischen, die Reifen sind aus reinem Eisen oder Stahl.
Erstaunlich ist auch, dass selbst die Fahrräder auf Eisen fahren. Es sind sogar Tretroller, denn der konservative Amische lehnt ein normalen Kettenantrieb per Pedal ab, das ist wirklich etwas seltsam und mühsam. Wir sahen eine junge sehr adrette Mutter, die einen langen Hügel mit ihrem Tretroller rauffuhr. Vorne in einem Korb das kleinste Kind sicherlich unter einem Jahr und hinten am Anhänger die zwei größeren, noch immer Kleinkinder. Ohne Kindersitz etc.
Es soll in Pennsylvania trotz aller Vorsicht immer wieder zu dramatischen Verkehrsunfällen mit den Buggies oder Tretrollern kommen. Freilich ist nach dem ersten Eindruck die Region nicht nur sehr grün, sondern eben auch sehr ruhig. Es wird dem Verkehrsaufkommen einer österreichischen ländlichen Gemeinde um 1960 entsprechen.
Verständlicherweise ist der Amische ein sehr guter Handwerker und Praktiker. Ihre Dienste werden auch von den „Englischen“ sehr gerne beansprucht. Ein amischer Tischler, Dachdecker oder Zimmermann beherrscht das alte Handwerk perfekt.
Nun haben wir keine Solarzellen auf den Dächern gesehen. Grundsätzlich lehnen die Amischen jeden Luxus ab. Erstaunlich sind gewisse Regeln für einfache Kleidung. Selbst Knöpfe werden als Zeichen von Eitelkeit gesehen, also verwendet man Haken. Aus ähnlichen Gründen wird im Gottesdienst nur gesungen, es gibt keine Instrumente.
Die verheirateten Männer tragen den bekannten Bart. Ein Bischof, der durch Losentscheid gewählt wird, hat als einzige Insignie eine kleine Kerbe in seinem Hut.
was man von außen sieht, weckt Nostalgie. Diese Menschen verdienen Respekt. Diejenigen bei uns (insbesondere in der Politik), die sehr theoretisch und akademisch von einer intellektuellen „De-Industrialisierung“ sprechen, sollten sich das harte echte Leben in diesem Landstrich Amerikas anschauen. Und es zieht die Grundregel: „manual work to honor god“.
Und wer in Deutschland immer auf die USA in moralisierender Weise schimpft, zumindest eines ist bewiesen: das Land lässt unterschiedliche oder sogar sehr kontroverse Lebensstile zu, das ist deutlich diverser und liberaler als in Europa. Denn grundsätzlich passiert es dort freiwillig. Es gibt die Amischen und die Englischen.
Weiterhin, das ist ja bei den europäischen Grünen des 21. Jahrhunderts gar nicht Konsens, sondern wird als Gefahr für das Gleichgewicht des Planeten gesehen: bei den Amischen steht das alte konservative Familienbild im Zentrum. Alles für die Großfamilie und die Kinder. Je mehr Kinder, desto besser.
Das konkrete Geschenk der jungen adretten Bäuerinnen, die Bittermelone, nehmen wir als Auftrag.
Die Bittermelone (goya) ist auch in der asiatischen Küche sehr wertgeschätzt.
Im nächsten Jahr versuchen wir es mit den Bittermelonen in Österreich. Saatkerne müssen wir bestellen, ob die wenigen im Inneren des originalen Amisch-Geschenks aus “Bird-in-Hand” halten und keimen, wird spannend. Wie wir das passende Holz zum Ranken aufstellen, können wir uns schon im Winter überlegen. Ich würde vermuten, auch bei dieser Kürbisart ist der Mehltau der größte Feind der Ernte.
Aber wie gesagt: die Amischen sollen überdurchschnittlich gesund sein. Fruchtbar außerdem.
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